100 Jahre Helmut Schmidt, ein deutscher und europäischer Staatsmann - Ehemaliger Vize-Kanzler Franz Müntefering sprach in Neustadt
Helmut Schmidt, dem fünften Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, war die letzte zeitgeschichtliche Veranstaltung der Stadt Neustadt (Hessen) in diesem Jahr gewidmet. Man wolle, so Bürgermeister Thomas Groll, an den einhundertsten Geburtstag eines Mannes erinnern, der die „Bonner Republik“ über Jahrzehnte mitgeprägt habe. 1953 würde der Hamburger erstmals in den Bundestag gewählt und machte sich schnell einen Namen als scharfzüngiger Redner, was ihm den Beinamen „Schmidt Schnauze“ einbrachte. Von 1961 bis 1965 war er Innensenator seiner Heimatstadt und erwarb sich bei der verheerenden Sturmflut 1962 durch seine beherzte Arbeit den Ruf des „Machers“. Von 1966-1969 war er Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, anschließend Verteidigungs- und Finanzminister. 1974 folgte er Willy Brandt als Kanzler und wurde 1982 durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt. Als „Elder Statesmen“ gehörte er zu den beliebtesten Politikern des Landes. Besonders lagen ihm die Beziehungen mit den USA und China am Herzen. 2015 starb er im 97. Lebensjahr.
Als Ehrengast konnte Thomas Groll diesmal ein „Urgestein“ der deutschen Sozialdemokratie begrüßen, den ehemaligen SPD-Vorsitzende und Vize-Kanzler Franz Müntefering. Der Sauerländer, Jahrgang 1940, war als Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen und Bundestagsabgeordneter fast vier Jahrzehnte Parlamentarier. Er war Sozialminister im bevölkerungsreichsten Bundesland, Bundesbau- und Arbeitsminister und von 2005-2007 Vize-Kanzler. Seiner Partei diente er als Bundesgeschäftsführer, Generalsekretär und Vorsitzender. Wobei dieses Amt nach seinen Worten „das schönste neben Papst sei“. Ein weiterer O-Ton von „Münte“ lautet übrigens „Opposition ist Mist“.
Der prominente Gast zog über 130 Interessierte von Schwalmstadt bis Marburg in das Momberger DGH. Bürgermeister Groll konnte u.a. Landrätin Kirsten Fründt, ihren Vor-Vorgänger Prof. Dr. Kurt Kliem, Kreistagsvorsitzenden Detlef Ruffert und seinen Vorgänger Heinrich Herbener, die Stadtverordnetenvorsteherin der Universitätsstadt Marburg/L. Marianne Wölk und die Bürgermeister Christian Somogyi (Stadtallendorf) und Olaf Hausmann (Kirchhain) begrüßen, Natürlich freute er sich über die zahlreichen „Stammgäste“, welche diese in der Region einmalige Veranstaltungsreihe immer wieder gerne besuchen. Deren Erfolgsrezept ist nach Grolls Worten einfach: Ein interessantes Thema und ein bekannter Gast, der nicht nur redet, sondern etwas zu sagen hat.
Ein wichtiger Bestandteil ist zudem die stets passende Musik des Trio „Semplice“. Willfred Sohn, Karl-Joseph Lemmer und Michael Dippel hießen Franz Müntefering mit „Glück auf, Glück auf“ willkommen und dieser sang eifrig mit. Während sich der Sozialdemokrat loben über die roten Krawatten der Musiker freute, lobte der gastgebende Christdemokrat deren schwarzen Anzüge und beide ernteten dafür Lachen und Beifall des Publikums.
In einem Punkt waren sich Franz Müntefering und Thomas Groll einig: Alle Demokraten sind aufgefordert, für die Werte des Grundgesetzes einzutreten und sich damit zu diesem Staat zu bekennen. Denen, die eine andere Republik wollten, müsse man über Parteigrenzen hinweg entgegentreten. Dafür gab es kräftigen Applaus.
Es war ein Vergnügen, dem rund einstündigen Vortrag des ehemaligen Vize-Kanzlers zuzuhören. Bereichert durch Anekdoten und persönliche Erlebnisse „Müntes“ mit Helmut Schmidt und Willy Brandt kam nie Langeweile auf.
Franz Müntefering zeichnete den Weg des Hamburgers in das Bundeskanzleramt nach und bezeichnete ihn als einen der bedeutendsten Politiker in der über 150-jährigen Geschichte der SPD. Ausführlich ging er auf den Amtsverzicht Willy Brandts 1974 infolge der Spionage Affäre, den RAF-Terror 1977 und den NATO-Doppelbeschluss ein. In allen diesen Situationen habe Helmut Schmidt seinen Mann gestanden. Am Ende hätte ihn seine Partei bei der Umsetzung des NATO-Doppelbeschlusses „mehr oder weniger alleine gelassen“, der Verlauf Geschichte habe dem Kanzler aber recht gegeben.
Müntefering, heute noch Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, nutzte seine Ansprache auch dazu, um eine Lanze für das Ehrenamt zu brechen. Was dort geleistet werde, sei unverzichtbar für unsere Gesellschaft, so sein Statement.
Nach der Veranstaltung gab es wieder viel Lob für die von Bürgermeister 2008 initiierte Veranstaltungsreihe. Das sei Geschichtsunterricht live und man habe immer wieder Gelegenheit, Persönlichkeiten zu erleben, die man aus dem Fernsehen kenne, so zwei Aussagen regelmäßiger Besucher.
Im Foyer hatte Bert Dubois wieder eine kleine Ausstellung passend zum Thema „100 Jahre Helmut Schmidt“ bereitgestellt.