Hochwasseraudit für Neustädter Kernstadt durchgeführt
Am 22. und 23. Februar 2018 fand im Neustädter Rathaus das Audit „Hochwasservorsorge – wie gut sind wir vorbereitet“ nach den Vorgaben der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA) statt. Ziel des vom Land Hessen geförderten Audits war es, unter sachkundiger Anleitung und nach objektiven Kriterien zu analysieren, wie gut Neustadt im Bereich des nicht-technischen Hochwasserschutzes aufgestellt bzw. an welchen Stellen der Vorsorgestatus verbesserungswürdig ist.
In Bayern wurden von der DWA bereits über fünfzig solcher Audits durchgeführt und die Staatsregierung plant, eine solche Qualitätsanalyse zum festen Bestandteil des örtlichen Risikomanagements zu machen. In Hessen ist Neustadt erst die zweite Kommune, die sich einer solchen Begutachtung stellt.
Als Auditoren fungierten Dr.-Ing. Karl-Heinz Rother, langjähriger Präsident des Landesamtes für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht des Landes Rheinland-Pfalz, und Dipl.-Ing. Carlos Rubin, Geschäftsführer einer Ingenieurgesellschaft für Wasser- und Umwelttechnik in Aachen. Im Zentrum einer erfolgreichen Begrenzung von Hochwasserschäden steht aus Sicht der beiden Experten, wie sie in ihrer Einführung betonten, die Kommunikation der Risiken aus natürlichen Gegebenheiten und eigenen Nutzungsansprüchen.
Die Bewertung erfolgte anhand von 35 Indikatoren in den Themenbereichen Flächen-, Bau-, Risiko- und Verhaltensvorsorge und differenzierte zwischen Flusshochwasser und Sturzfluten (Starkregen). Neben der Statusbewertung und der damit einhergehenden Thematisierung von Schwachstellen wurden auch Maßnahmen zur Verbesserung des nicht-technischen Hochwasserschutzes angesprochen.
Seitens der Kommune nahmen neben Bürgermeister Thomas Groll auch die Fachbereichsleiter Holger Michel und Thomas Dickhaut sowie zu einigen Themenblöcken Ortvorsteher Klaus Groll an dem Hochwasser-Audit teil.
Allein die Forderung nach technischen Maßnahmen in Form von größeren Kanälen, Dämmen oder Rückhaltbecken löse das Problem nicht, betonte Dr.-Ing. Karl-Heinz Rother. Die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Erfahrungszeitraums einer Generation von siebzig Jahren mindestens einmal von einem 100-jährlichen Starkregenereignis betroffen zu werden, liege immerhin bei 50 % und ein Drittel derer, die dann Opfer gewesen seien, würden statisch noch einmal von einem solchen Ereignis heimgesucht, ergänzte Carlos Rubin.
Nach einem aktuell eingeführten 12-skaligen Starkregenindex müsste die Wettersituation vom 11. September 2011 in Neustadt (Unwetter beim „Neustadt-Treffen“) bei einem Indexwert zwischen 7 und 8 eingestuft werden.
Dr.-Ing. Rother, dessen beruflicher Schwerpunkt der Hochwasserschutz am Hochrhein war, verwies darauf, dass Starkregen zufallsverteilt seien und dies durchaus mit dem Würfeln vergleichbar sei. Einer langen Folge von Würfen ohne einen 6er folgten immer wieder mehrerer 6er hintereinander. Die beiden Auditoren konnten aufzeigen, dass auch die Folgen mehrerer 100-jährlicher Starkregenereignisse, wie sie in der jüngsten Vergangenheit mehrfach in Neustadt aufgetreten sind, durch die Zufallsverteilung abgedeckt werden.
Die Experten warfen die (rhetorische) Frage auf, welche Möglichkeiten denn verblieben, wenn technische Hochwasserschutzmaßnahmen das Problem nicht abschließend lösen könnten. Zur Beantwortung dessen hatten Dr.-Ing. Karl-Heinz Rother und Carlos Rubin einen ganzen „Werkzeugkasten“ mitgebracht. Beispielsweise müsse der Wasserrückhalt auf landwirtschaftlichen Nutzflächen systematisch verbessert werden. Bürgermeister Thomas Groll verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass die Kommune in Zusammenarbeit mit dem Wasser- und Bodenverband Landwirten im Heidental ein Förderprogramm für geänderte Bewirtschaftungsweisen anbiete. Hier könnte die Resonanz durchaus größer sein. In diesem Zusammenhang setzt der Bürgermeister zudem auf das anstehende Flurbereinigungsverfahren. Hier könnten, allerdings erst mittel- und langfristig, Veränderungen in der Wege-, Graben- und Flächenstruktur umgesetzt werden. Ortsvorsteher Klaus Groll sprach in diesem Zusammenhang nochmals natürliche Retentionsräume an. Auch diese könnten das Problem keinesfalls lösen, aber ggf. etwas abmildern, betonte Carlos Rubin. Die Kommune wird diesen Punkt in ihre weiteren Überlegungen mit einbeziehen.
Dr.-Ing. Rother riet dazu, in Hochwasserrisikogebieten Bauvorhaben gründlich zu überdenken. Bei Sanierungen im Bestand sollten Ausführungen gewählt werden, die dem Wasserangriff standhalten. Da dennoch nicht alle Schäden verhindert werden könnten, sollte auch an den Abschluss von Elementarversicherungen gedacht werden. Alleine auf technischen Hochwasserschutz zu setzen ist in Rothers Augen ein Weg in eine Sackgasse.
Bürgermeister Thomas Groll dankte den Auditoren für den ausführlichen Meinungsaustausch, der die Thematik umfassend abgedeckt habe. Es sei dabei nochmals deutlich geworden, dass es nicht „die eine“ Maßnahme gebe, die das Problem lösen könne. Aber es existierten durchaus eine Vielzahl von Punkten, die zwar das Hochwasser nicht verhinderten, aber sehr wohl helfen, das Ausmaß der Schäden zu begrenzen.
Dr.-Ing. Karl-Heinz Rother und Carlos Rubin werden die Gesprächsergebnisse nun auswerten und einen Bericht erstellen. Dieser soll im II. Quartal 2018 sowohl im für Baufragen zuständigen Fachausschuss als auch dem Ortsbeirat der Kernstadt behandelt werden, erklärte Bürgermeister Thomas Groll. Er erwartet vom Audit Ansatzpunkte für das weitere Vorgehen im nicht-technischen Hochwasserschutz. Diese müssten dann priorisiert und schrittweise umgesetzt werden.
„Auch wenn wir in den letzten Jahren dankenswerterweise von Sturzfluten verschont geblieben sind, dürfen wir das Thema nicht ad acta legen. Mit kleinen Maßnahmen kann man durchaus etwas erreichen. Klar sein muss aber leider auch, dass es das „Rundum sorglos Paket“ nicht gibt“, stellte Bürgermeister Thomas Groll in Übereinstimmung mit den beiden Auditoren fest.