Seit 2009 lädt die Stadt Neustadt (Hessen) schon zu ihrer zeitgeschichtlichen Veranstaltungsreihe ein. Bürgermeister Thomas Groll gelingt es immer wieder namhafte Referentinnen und Referenten für einen Vortrag über bedeutsame Ereignisse oder herausragende Persönlichkeiten der deutschen Geschichte zu gewinnen. Viele der Gäste bleiben den Besucherinnen und Besuchern noch lange in Erinnerung, denn sie reden nicht nur, sondern haben etwas zu sagen.
Am 12. September fanden einhundert Interessierte den Weg in das Kultur- und Bürgerzentrum und waren – wie der Applaus am Ende zeigte – begeistert von den Ausführungen von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die bekannte FDP-Politikern war von 1992-1996 und 2009-2013 Bundesministerin der Justiz, ist heute Antisemitismus-Beauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus noch vielfach ehrenamtlich tätig.
Angelehnt an das Jahresmotto der Veranstaltungsreihe „75 Jahre Grundgesetz – Gründergestalten der Bundesrepublik sprach sie engagiert über eine Stunde zu Leben und Wirken von Prof. Dr. Theodor Heuß und seinem Bezug zum Grundgesetz, unserer Verfassung.
Umrahmt wurde auch dieser Abend vom Trio „Semplice“, dass seit Anfang an für einen würdevollen Rahmen sorgt.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erinnerte eingangs daran, dass die erste Wahl von Theodor Heuß zum Bundespräsidenten am 12.9.1949, also vor genau 75 Jahren, stattfand.
Sie zeichnete dessen Vita beginnend im Kaiserreich über die Weimarer Republik und die NS-Diktatur bis hin zur jungen Bundesrepublik nach und stellte bereits eingangs fest, dass „Papa Heuß“ – so der liebevolle Spitzname des großen Liberalen in den 1950er Jahren – durch die Kraft des Wortes und seine Persönlichkeit überzeugte und den Deutschen Orientierung in der Zeit des Wirtschaftswunders gab.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ging auch auf dessen Zustimmung zu Hitlers „Ermächtigungsgesetz“ 1933 ein. Damals sei er der Fraktionsmehrheit gefolgt, habe aber diese Entscheidung später immer wieder selbstkritisch reflektiert und habe sich als Bundespräsident immer zur Verantwortung der Deutschen gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus bekannt.
Theodor Heuß, dessen Bücher auch von den Nazis verbrannt wurden, gehörte nach dem Ende des II. Weltkrieges zur Gründergeneration unseres Landes.
Zunächst wirkte er an der Erstellung der Verfassung des damaligen Bundeslandes Württemberg-Baden mit, um dann in den Parlamentarischen Rat zur Erarbeitung des Grundgesetzes gewählt zu werden. Dort war er Fraktionsvorsitzender der FDP, stets um Kompromisse bemüht und legte ein besonderes Augenmerk auf die Präambel, die Grundrechte und die Staatssymbolik. Auch der Name Bundesrepublik Deutschland geht auf Theodor Heuß zurück.
Dieser wurde im September 1949 im zweiten Wahlgang gegen den Sozialdemokraten Kurt Schumacher zum Bundespräsidenten gewählt und war neben Bundeskanzler Konrad Adenauer der Garant für einen erfolgreichen Start des neuen Staates.
Sabine Leutheusser-Scharrenberger verstand es eindrucksvoll, neben der Charakterisierung von Theodor Heuß einzelne Grundrechte der Verfassung darzustellen und ein Plädoyer für unseren demokratischen Staat abzulegen. Mit überzeugenden Worten und großer Emotionalität warb sie dafür, allen Anfeindungen von rechts und links entgegenzutreten und sich aktiv für unser Gemeinwesen einzusetzen.
Bürgermeister Thomas Groll dankte der ehemaligen Bundesministerin, die heute noch aus Überzeugung dem Kreistag im bayerischen Starnberg angehört und dort engagiert mitarbeitet, für ihr Kommen und ihre Worte.
Beim anschließenden Empfang nahm sich Sabine Leutheusser-Schnarrenberger viel Zeit für Gespräche und erhielt immer wieder Lob für ihre großartige Rede.
Sie dankte Thomas Groll für die Idee zu dieser Veranstaltungsreihe, die sie als beispielhaft für andere Kommunen bezeichnete.