Bundespräsident a.D. Christian Wulff<span> Bildquelle: </span>Stadt Neustadt (Hessen)
Bundespräsident a.D. zum Kriegsende 1945 und den Entwicklungen in Deutschland und Europa

Am 16. Mai 2025 hatte die Stadt Neustadt (Hessen) zu einer weiteren zeitgeschichtlichen Veranstaltung in das Kultur- und Bürgerzentrum eingeladen. Bürgermeister Thomas Groll war es abermals gelungen, einen herausragenden Redner in die Junker-Hansen-Stadt zu holen.

Zu Gast war diesmal der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff, der als ehemaliges Staatsoberhaupt noch heute regelmäßig Repräsentant Deutschlands in Vertretung von Bundespräsident oder Bundeskanzler ist.

Wulff, Jahrgang 1959, blickt auf ein langes politisches Leben zurück, dass bereits 1978 als Vorsitzender der Schüler Union Niedersachsen begann. Über den Rat der Stadt Osnabrück gelangte er in den Niedersächsischen Landtag, wo er zunächst Oppositionsführer war. 2003 wurde er dann zum Ministerpräsidenten gewählt und übte dieses Amt bis 2010 aus. Seinerzeit wurde er von der Bundesversammlung zum zehnten Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Im Februar 2012 trat er als bis heute jüngster Präsident aufgrund des Druckes der Medien zurück, wurde aber später von allen gegen ihn erhobenen Vorwürfen freigesprochen. Der Christdemokrat, der u.a. Landes- und stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU war, engagiert sich heute vielfach ehrenamtlich, u.a. als Vorsitzender des Deutschen Chorverbandes.

Bei der Vorstellung des Ehrengastes sagte Bürgermeister Thomas Groll bezugnehmend auf den damaligen Rücktritt Christian Wulffs: „2012 hat er erfahren müssen, dass die Medien nicht nur Wächter sind, sondern manchmal auch Richter sein wollen. Die Gerichte haben aber ihr eigenes Urteil gefällt und unseren Gast freigesprochen.“

Die Veranstaltung, zu der Groll u.a. die Landtagsabgeordneten Dirk Bamberger und Sebastian Sack, den Ersten Kreisbeiordneten Peter Neidel, mehrere aktive und ehemalige Bürgermeister aus der Region und erstmals auch den evangelischen Dekan Jens Heller begrüßen konnte, wurde wieder vom „Trio Semplice con Pianoforte“ gekonnt musikalisch begleitet.

Dass erneut fast 180 Interessierte den Weg zu diesem „lebendigen Geschichtsunterricht“ im KubüZ fanden, zeigt die Beliebtheit dieser Veranstaltungsreihe über Neustadt hinaus. Wünschenswert wäre es, wenn die jüngere Generation, und insbesondere die Schulen der Region, sich ebenfalls eingeladen fühlten.

Bürgermeister Thomas Groll stellte in seinen einleitenden Worten den 8. Mai 1945, den Tag der Kapitulation des III. Reiches, bezugnehmend auf einen Artikel des Nachrichten-Magazins „Focus“ als einen widerspenstigen Gedenktag dar. Er markiere Deutschlands Untergang vor achtzig Jahren und ermöglichte zugleich ein westliches Bündnis, dass sich jetzt wieder bewähren müsse. Der 8. Mai 1945, so Groll, sei der Anfang der Freiheit gewesen und gehöre entsprechend gewürdigt.

Bundespräsident a.D. Christian Wulff hielt eine rund einstündige Ansprache, für die er langanhaltenden Beifall der Anwesenden erhielt. Zunächst lobte er das Engagement von Kommune und Bürgermeister für diese Veranstaltungsreihe, die dazu beitrage demokratisches Bewusstsein zu entwickeln, und zeigte sich erfreut über die große Anzahl der Besucherinnen und Besucher.

Wulff stellte den 8. Mai 1945 als einen Neuanfang für Deutschland und Europa dar. Er dankte den USA, Großbritannien und Frankreich, aber auch der damaligen Sowjetunion für ihren Kampf gegen das Hitler-Regime und betonte weiter, dass man auch in Zeiten des Ukraine-Krieges das Putin-Regime nicht mit dem gesamten Russland gleichsetzen dürfe.

Der Gast aus Hannover verglich das Leben eines 65-jährigen, der wie er 1959 geboren sei, mit dem Leben eines 65-jährigen, der 1894 auf die Welt kam. Seine Generation, so Christian Wulff, habe das Wirtschaftswunder, den Fall der Mauer und des eisernen Vorhangs, die Wiedervereinigung und achtzig Jahre Frieden in Deutschland gelebt. Menschen, die um die Jahrhundertwende geboren seien hätten hingegen zwei Weltkriege, Wirtschaftskrisen und die Spaltung Europas durchleben müssen.

„Wir sollten alle weniger mehr jammern und zugleich ein wenig mehr für unsere Demokratie eintreten, die gerade heute vielfältigen Herausforderungen, aber auch wirklichen Gefahren ausgesetzt ist“, so der ehemalige Bundespräsident. Das Grundgesetz von 1949 beinhalte das Versprechen „Nie wieder“. Nie wieder Krieg ausgehend von Deutschland, nie wieder Unfreiheit, nie wieder Rassismus und nie wieder Gewalt gegen Minderheiten. Daran müssten wir uns heute messen lassen. „Nie wieder“ sei gerade heute. Kritisch setzte sich Wulff in diesem Zusammenhang mit der AfD auseinander, der er Populismus und ein ungeklärtes Verhältnis zum demokratischen Rechtsstaat vorwarf.

„Mit Sorge müssen uns alle die Entwicklungen in den USA, in Russland, aber auch der Türkei erfüllen. Da wird Hand an die Demokratie angelegt. Daher ist es umso wichtiger, dass wir ein starkes Europa haben. Dies war eine Errungenschaft nach dem II. Weltkrieg und daran müssen wir uns gerade heute nicht nur erinnern, sondern etwas dafür tun“, so Christian Wulff.

Kritisch setzte sich der ehemalige Bundespräsident mit dem Internet und der künstlichen Intelligenz auseinander. Beides könne nützlich, aber leider auch sehr gefährlich sein. „Früher hat sich jeder seine Meinung über die Tageszeitung und die Nachrichten im Fernsehen gebildet. Jeder war auf dem gleichen Stand. Heute suchen sich viele ihre Wahrheiten im Netz und bei KI. Oftmals merken sie dabei nicht, dass sie Fake News aufsitzen. Hier ist Wachsamkeit nötig“, so Wulff.

Zum Abschluss bat er alle Anwesenden, ihren kleinen Beitrag zum Erhalt unserer Demokratie zu leisten.

Bürgermeister Thomas Groll dankte dem ehemaligen Staatsoberhaupt für seine engagierte Rede und gab den Besucherinnen und Besuchern ein Wort Richard von Weizsäckers aus dessen berühmter Rede vom 8. Mai 1945 mit auf den Heimweg: „Ehren wir die Freiheit. Arbeiten wir für den Frieden. Halten wir uns an das Recht.“ Worte, die auf dem Ehrenmal der Stadt Neustadt (Hessen) stehen.

Mit der Nationalhymne und der Eintragung des ehemaligen Bundespräsidenten in das Goldene Buch der Kommune klang die Veranstaltung aus.

Die nächste zeitgeschichtliche Veranstaltung findet bereits am 28. Mai 2025 statt. Die ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, Kuratoriumsvorsitzende der Friedrich-Ebert-Stiftung, spricht dann zum 100. Todestag des ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert. Interessierte können sich noch unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. oder Tel. 06692-8911 anmelden.