75 Jahre Grundgesetz - Bundestagspräsidentin Bärbel Bas sprach vor 270 Besucherinnen und Besuchern
Seit 2009 lädt die Stadt Neustadt (Hessen) zu ihrer zeitgeschichtlichen Veranstaltungsreihe ein, um herausragende Ereignisse oder Persönlichkeiten der deutschen Geschichte zu würdigen.
In diesem Jahr steht die Verkündung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland durch den Parlamentarischen Rat am 23. Mai 1949, also vor 75 Jahren, im Mittelpunkt mehrerer Veranstaltungen.
Zum Auftakt konnte Bürgermeister Thomas Groll im Kultur- und Bürgerzentrum einen besonderen Gast begrüßen. Mit Bundestagspräsidentin Bärbel Bas war die zweithöchste Repräsentantin des Staates in die Junker-Hansen-Stadt gekommen. Der Bürgermeister hatte aus diesem denkwürdigen Anlass die Amtskette angelegt und bezeichnete den Besuch „als eine besondere Ehre für unsere kleine Stadt“.
Erfreulicherweise hatten 270 Besucherinnen und Besucher am 16. März 2024 den Weg ins KuBüZ gefunden. Stellvertretend für alle hieß Groll den Parlamentarischen Staatssekretär und Bundestagsabgeordneten Sören Bartol, den Landtagsabgeordneten Sebastian Sack, den Ersten Kreisbeigeordneten Marian Zachow, Kirchhains Bürgermeister Olaf Hausmann und Stadtallendorfs Ehrenbürger Manfred Vollmer sowie Neustadts Stadtverordnetenvorsteher Franz-W. Michels und den Ersten Stadtrat Wolfram Ellenberg willkommen.
Für die musikalische Umrahmung sorgte in bewährter Weise das „Trio Semplice plus eins“ (Willfred Sohn, Michael Dippel, Karl-Joseph Lemmer und Frank Giehl). Zur Melodie von „Die Gedanken sind frei“ hatte Lemmer sogar ein Lied zum Grundgesetz verfasst, das er vortrug.
„Die Demokratie ist immer bedroht. Demokratie ist nichts Gottgegebenes und fällt nicht einfach vom Himmel. Dafür muss man arbeiten, die ganze Zeit. Jede Generation muss sich neu dafür entscheiden, die Demokratie zu verteidigen“, mit diesem Zitat des schwedischen Journalisten und Schriftstellers Stieg Larsson (1954-2004) begann Bürgermeister Thomas Groll seine Ansprache. In deren Verlauf bezeichnete er das Grundgesetz und die Bundesrepublik als „Erfolgsmodell“. Auf beides könne man mit Dankbarkeit und Stolz blicken. Er mahnte aber auch dazu, sich aktiv immer wieder aktiv für unsere Demokratie einzusetzen. In diesem Zusammenhang dankte Groll nochmals den Initiatoren und Teilnehmern der Kundgebung „Nie wieder ist jetzt“ am 24. Februar auf dem Neustädter Schlossplatz. Das Banner mit dem Motto der Veranstaltung „Toleranz, Vielfalt, Demokratie“ war im Saal angebracht. Im Foyer waren zudem Bilder einer dritten Grundschulklasse zu Artikel 1 des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ zu sehen. „Über eine Million Menschen sind in den letzten Wochen für unsere Demokratie auf die Straße gegangen. Dieser Einsatz muss weitergehen. Beispielsweise bei der Europawahl am 9. Juni, denn bei einer hohen Wahlbeteiligung haben es Populisten schwerer“, so Thomas Groll.
Der Bürgermeister würdigte Bärbel Bas als eine herausragende Repräsentantin der parlamentarischen Demokratie. Mit Worten von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier skizzierte er den Werdegang der Politikerin. „Sie verkörpern das Ideal, dass in der Demokratie eben nicht Herkunft, Status oder Vermögen über den Zugang zur politischen Macht entscheiden oder wenigstens nicht entscheiden sollten. Sie kommen aus einer Familie, in der Geld mitunter knapp war, aus einer Familie mit sechs Kindern. Wenn Sie als zweithöchste Repräsentantin des Staates über Ihre eigenen Erfahrungen mit Armut sprechen, geben Sie anderen Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, oder sich aus anderen Gründen nicht trauen, Kraft“, hatte das Staatsoberhaupt im Herbst 2024 bei der Verleihung des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik an Bärbel Bas gesagt. Die Duisburgerin gehört seit 2009 dem Deutschen Bundestag an und amtiert seit 2021 als Bundestagspräsidentin.
Zu Beginn ihrer auf viel positive Resonanz gestoßenen Rede lobte Bärbel Bas die zeitgeschichtliche Veranstaltungsreihe der Kommune und hob das diesbezügliche Engagement des Bürgermeisters hervor, dem es gemeinsam mit Sören Bartol gelungen sei, sie von einem Besuch in Neustadt zu überzeugen. „Seit 2009 wird in ihrer Stadt lebendiger Geschichtsunterricht betrieben. Hierfür danke ich ihnen. Sie sollten als Vorbild für andere Städte und Gemeinden dienen“, so Bärbel Bas.
„75 Jahre Grundgesetz muss gefeiert werden, denn unsere Verfassung bildet die Grundlage der Bundesrepublik und steht für Recht und Freiheit“, so die Politikerin, die ebenfalls die Demonstrationen und Kundgebungen der letzten Wochen lobte: „Es ist ein gutes Zeichen, wenn sich die Menschen zu unserer Demokratie bekennen. Diese ist bei weitem keine Selbstverständlichkeit und muss rechtzeitig verteidigt werden. Die letzten Jahre der Weimarer Republik und die Machtergreifung der Nationalsozialisten müssen uns immer Mahnung sein.“
Die Bundestagspräsidenten würdigte die Arbeit des Parlamentarischen Rates unter dem Vorsitz des späteren Bundeskanzlers Konrad Adenauer bei der Erarbeitung des Grundgesetzes. Deutschland habe nur vier Jahre nach dem Ende des II. Weltkrieges noch in Trümmern gelegen, dennoch habe man die Kraft aufgebracht dieses große Werk zu schaffen.
In den Mittelpunkt ihrer Ausführungen stelle Bärbel Bas die „Mütter des Grundgesetzes“, das sind die vier Frauen, die gemeinsam mit 61 Männern im Parlamentarischen Rat das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland erarbeiteten: Friederike Nadig, Elisabeth Selbert, Helene Weber und Helene Wessel. Sie waren 1949 wesentlich daran beteiligt, dass die Gleichstellung der Geschlechter mit dem Satz „Frauen und Männer sind gleichberechtigt.“ als Artikel 3 ins Grundgesetz aufgenommen wurde.
Die Bundestagspräsidentin stellte heraus, dass es noch lange gedauert habe, bis diese klare Aussage der bundesdeutschen Verfassung Eingang in alle Gesetze gefunden habe. „Seien wir ehrlich, in manchen Dingen haben wir sogar heute noch Nachholbedarf“, so Bas, die bedauerte, dass aktuell im Bundestag nur 35 % der 736 Abgeordneten Frauen seien. Sie sprach sich daher am Ende ihrer Rede klar für eine verpflichtende Frauenquote von 50 % aus.
Bürgermeister Thomas Groll dankte Bärbel Bas herzlich für ihre Ausführungen und überreichte ihr einen Kugelschreiber aus dem Holz des Junker-Hansen-Turmes.
Die Veranstaltung klang mit der gemeinsam gesungenen Nationalhymne aus.
Nachdem sich Bärbel Bas in das Goldene Buch der Kommune eingetragen hatte stand sie noch lange für Fotos und Gespräche zur Verfügung und erwies sich als eine bürgernahe Präsidentin des Deutschen Bundestages.
Fotos: Stadt Neustadt (Hessen)