Gebietsreform 1974 - 50 Jahre gemeinsam - 50 Jahre eine Stadt
Eine gelungene Jubiläumsfeier am 8. Mai im KuBüZ
In den 1970er Jahren fand in Hessen die Gebietsreform statt. Aus einstmals fast 2.700 selbständigen Kommunen entstanden aufgrund freiwilliger Zusammenschlüsse bzw. entsprechender Vorgaben des Landes 423 Städte und Gemeinden.
Zum 1. Januar 1974 traten auch die bis dahin selbständigen Gemeinden Mengsberg, Momberg und Speckswinkel aufgrund der zuvor geschlossenen Auseinandersetzungsverträge der Stadt Neustadt bei.
Das Ereignis „50 Jahre Gebietsreform“ wurde am 8. Mai 2024 mit einer Festveranstaltung im Kultur- und Bürgerzentrum gewürdigt.
Bürgermeister Thomas Groll konnte hierzu knapp 200 Gäste begrüßen. Herzlich hieß er den Landtagsabgeordneten Dirk Bamberger, den Ersten Kreisbeigeordneten Marian Zachow, die Nachbarbürgermeister Luca Fritsch (Willingshausen) und Dietmar Krist (Antrifttal), den Ersten Stadtrat der Stadt Stadtallendorf Otmar Bonacker, Stadtrat Armin Happel aus Schwalmstadt, Stadtverordnetenvorsteher Franz-W. Michels und den Ersten Stadtrat Wolfram Ellenberg sowie den Junker Hans Nils Pfab und seine Burgfräulein Thea Eckardt und Nina Weißbecker willkommen.
Ein besonderer Gruß galt Landrat a.D. Robert Fischbach, der von 1996-2014 an der Spitze des Landkreises Marburg-Biedenkopf stand, und an diesem Abend die Festansprache hielt sowie Manfred Hoim, der von 1989-2007 als Bürgermeister der Stadt Neustadt (Hessen) amtierte. Dessen Amtsvorgänger Fritz Mütze konnte alters- und krankheitsbedingt nicht dabei sein.
Die musikalische Gestaltung des Abends übernahm zunächst die Klasse 5a der Martin-von-Tours-Schule mit einem Liedbeitrag. Es folgte die Klasse 6b mit einem Tanz. Verantwortlich für beide Auftritte war der neue Musiklehrer der Schule Silas Schlösser.
Im Verlauf der Veranstaltung trug dann die bekannte Sängerin Ulla Keller aus Marburg verschiedene Songs, darunter etliche Evergreens, vor und erhielt dafür reichlich Applaus. Die Auswahl hatte sie u.a. an dem Europamonat Mai ausgerichtet, denn die Veranstaltung zur Gebietsreform war ebenso wie der „Tag der Demokratie“, der am 8. Mai vormittags von Kommune und Martin-von-Tours-Schule durchgeführt wurde, in die kommunalen Aktivitäten zum Thema „Europa & Demokratie“ eingebunden. Zum Schluss kam Ulla Keller nicht um eine Zugabe herum.
Zu Beginn bat Bürgermeister Thomas Groll die Ortsvorsteher Karlheinz Kurz, Jörg Grasse und Martin Naumann sowie den Ersten Stadtrat Wolfram Ellenberg auf die Bühne. Diese lasen Passagen aus den fünfzig Jahre alten Neujahrsbotschaften der Bürgermeister Fritz Mütze, Wilhelm Krähling (Mengsberg), Hugo Groß (Momberg) und Heinrich Naumann sen. (Speckswinkel) vor.
Wie unterschiedlich die damaligen Erwartungen an die Gebietsreform doch waren: sie reichten von positiver Erwartung, über Hoffnung verbunden mit leichter Skepsis bis hin zur radikalen Ablehnung. So schrieb der letzte Speckswinkler Bürgermeister 1974, dass große Teile der Bevölkerung die Gebietsreform nicht als demokratisch ansähen und diese der Vorbote einer sozialistischen Diktatur sei.
Aus der Rückschau der letzten fünf Jahrzehnte weiß man, dass es anders gekommen ist und gut wurde. Die heutigen Stadtteile Mengsberg, Momberg und Speckswinkel haben sich infrastrukturell deutlich weiterentwickelt und auch ihre örtlichen Besonderheiten durchaus bewahrt. Beide Punkte machten die drei Ortsvorsteher in kurzen persönlichen Worten deutlich und hoben das gute Miteinander mit Verwaltung und Bürgermeister hervor.
In seiner dann folgenden Ansprache ging Thomas Groll zunächst beispielhaft auf die großen und kleinen Veränderungen seit 1974 ein:
„Wer hätte sich beispielsweise 1974 vorstellen können, dass lediglich 15 Jahre später die Berliner Mauer fallen würde?
Wer hätte damals daran gedacht, dass es 2002 keine D-Mark mehr geben würde?
1974 war Neustadt ohne die Bundeswehr und die Firmen ERGEE und Will unvorstellbar, längst sind die Unternehmen Geschichte.“
Sodann beleuchtete er die Beweggründe der damaligen Landesregierung für eine Gebietsreform. Aus seiner Sicht sei es seinerzeit richtig gewesen, größere Einheiten zu bilden, um sich den Aufgaben der Zukunft besser stellen zu können. Kleine Dörfer hätten dies niemals geschafft und wären auch mit ihren wenigen, zumeist auch noch nebenamtlichen Mitarbeitenden auch mit der zunehmenden Bürokratie überfordert gewesen.
In einer Randnotiz bedauerte es Groll ein wenig, dass 1974 nicht auch Gleimenhain, Arnshain, Wahlen und Bernsburg, zu denen es doch lange gewachsene Beziehungen gab, zu Neustadt hinzugekommen seien.
Auch heute, so der Bürgermeister, gebe es zahlreiche kleine Kommunen, für die Zusammenschlüsse ratsam wären. Er ging aber davon aus, dass es keine Gebietsreform „von oben“ geben werde, sondern hier eigene Erkenntnis und Freiwilligkeit gefragt seien.
„Unsere Heimatstadt Neustadt ist stark genug, um auch die Zukunft erfolgreich zu meistern. Hierfür bedarf es dreierlei:
- Den Abbau einer überbordenden Bürokratie von Europa, Bund und Land. Wir brauchen vor Ort die Freiheit für eigene Entscheidungen so sehr, wie die Luft zum Atmen.
- Ausreichende finanzielle Mittel von den übergeordneten Ebenen. Schafft die vielen Förderprogramme, deren Beantragung immer schwieriger wird, ab und gebt den Kommunen eine solide finanzielle Grundlage. In unserem besonderen Fall darf dabei nicht in Vergessenheit geraten, dass Neustadt als Standort einer Erstaufnahmeeinrichtung besonderen Herausforderungen ausgesetzt ist und einen Dienst für das gesamte Land erbringt“, betonte Groll.
- Engagierte Frauen und Männer, die sich in der Kommunalpolitik, den Vereinen und den Kirchengemeinden für unsere Heimatstadt engagieren. Ohne diesen Einsatz wird es nichts werden“,
betonte Groll.
Der Bürgermeister dankte denen, die seit 1974 kommunalpolitische Verantwortung für Neustadt und die drei Stadtteile getragen haben, insbesondere natürlich der Gründergeneration“. Hier nannte er stellvertretend Paul Altenbrand, der Stadtverordneter, Stadtrat, Stadtverordnetenvorsteher und Erster Stadtrat war, und Reinhold Lotter, der 25 Jahre als Ortsvorsteher von Momberg amtierte.
„Neben dem Ehrenamt bedarf es aber auch des Hauptamtes, um erfolgreich zu wirken. Dabei ist sicher Kontinuität und Miteinander ein hohes Gut.
Von 1972-1989 war Fritz Mütze Bürgermeister unserer Stadt. Er hat beispielsweise die Jahre der Gebietsreform gestaltet, die Dorferneuerung nach Mengsberg und die Altstadtsanierung in die Kernstadt geholt. In seiner Amtszeit wurde u.a. der Kindergarten in der Eichsfelder Straße erbaut und das 500. Jubiläum des Junker-Hansen-Turms ist sicher vielen noch in Erinnerung.
1989 folgte ihm Manfred Hoim, der bis 2007 amtierte. Sein besonderer Blick galt den städtischen Finanzen. Er führte die Altstadtsanierung fort und brachte die Dorferneuerung nach Momberg und Speckswinkel. Nach der Schließung der ERGEE-Werke initiierte er den „Kaufpark“ und stellte die ersten Weichen für die Konversion der Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne. In seine Amtszeit fiel die große Festwoche zur 500. Trinitatis-Kirmes.
Beide, Fritz Mütze und Manfred Hoim, haben sich bleibende Verdienste um diese Stadt erworben.
Seit 2007 darf nun ich Bürgermeister meiner Heimatkommune sein. Was in diesen siebzehn Jahren geschehen ist, haben die meisten von ihnen verfolgt. Mir waren mit dem Neustadt-Treffen 2011 und dem 750. Stadtjubiläum sogar zwei große Feste vergönnt. Für eine weitere Beurteilung meiner Amtszeit ist es aber sicher zu früh, schließlich möchte ich Anfang 2025 noch einmal für das schönste Amt der Welt kandidieren“, führte der Bürgermeister weiter aus.
„Wir haben in und für Neustadt, Mengsberg, Momberg und Speckswinkel wirklich viel geschaffen. Unsere Kommune steht gut da. Dabei investieren wir vor Ort nicht nur in Steine, sondern auch in die Menschen. Unser soziales Netz ist für eine Kommune dieser Größe durchaus beispielgebend. Ein gesundes Verhältnis zwischen der Individualität der einzelnen Orte und dem Gemeinschaftsgedanken – das macht stark!
Kernstadt und Stadtteile mögen sich auch zukünftig ihre Besonderheiten bewahren, dabei aber nie verkennen, dass Stadtteildenken nichts voranbringt, sondern lähmt“, so Thomas Groll abschließend, der auch noch das gute Miteinander in der Neustädter Kommunalpolitik hervorhob.
Anschließend richtete Robert Fischbach das Wort an die Anwesenden. Er gehörte bereits1974 dem ersten Kreistag des neuen Landkreises Marburg-Biedenkopf an. 1993 wurde er Erster Kreisbeigeordneter und amtierte von 1996-2014 als Landrat. Von 2009-1013 war er zudem Präsident des Hessischen Landkreistages.
Zunächst fand Fischbach lobende Worte für das neue Kultur- und Bürgerzentrum. „Das alte Soldatenheim war mir wohlbekannt. In der neuen Halle bin ich nun das erste Mal. Sie ist wirklich gelungen, dazu meine Gratulation“, so die Worte des Gastes aus Dautphetal.
Der ehemalige Landrat blickte auf die frühen 1970er Jahre zurück und schilderte den Weg zur Gebietsreform im Landkreis. Aus den selbständigen Kreisen Biedenkopf und Marburg sowie der kreisfreien Stadt Marburg entstand am 1. Juli 1974 der Landkreis Marburg-Biedenkopf.
Robert Fischbach berichtete aus eigener Anschauung auch über die politischen Entwicklungen in jenen Jahren. Hierbei konnte man ihm sehr gut zuhören.
Er erwähnte die Landräte Dr. Siegfried Sorge, Dr. Christean Wagner, Prof. Dr. Kurt Kliem, Robert Fischbach und Jens Womelsdorf und die leider zu früh verstorbene Landrätin Kirsten Fründt. Allen attestierte er, stets mit Engagement für den Landkreis gearbeitet zu haben. Dabei sei in fünfzig Jahren viel erreicht worden.
In seinen Augen sei die Gebietsreform aus der Sicht von heute – auch im Landkreis Marburg-Biedenkopf – ein Erfolgsmodell.
Einzig mit dem Sonderstatus der Universitätsstadt Marburg zeigte sich Robert Fischbach nicht zufrieden. In seinen Augen ist dies nichts Halbes und nichts Ganzes. Marburg sei nie richtig im Landkreis angekommen, so seine Sichtweise.
Der ehemalige Landrat wünschte dem Kreis und auch der Stadt Neustadt (Hessen) alles Gute für die kommenden Jahrzehnte. Die Aufgaben der Zukunft seien eine Herausforderung, aber mit Engagement und Ideenreichtum werde man auch sie bestehen.
Landrat a.D. Robert Fischbach, Bürgermeister Thomas Groll und die Ortsvorsteher Karlheinz Kurz, Jörg Grasse und Martin Naumann trugen sich zum Abschluss des offiziellen Teils in das Goldene Buch der Kommune ein.
Ein herzliches Dankeschön gilt der Freiwilligen Feuerwehr Neustadt-Mitte für die Bewirtung der Gäste und Sonja Stark und Oliver Gies für die organisatorische Vorbereitung einer gelungenen Jubiläumsveranstaltung.
Fotos: Stadt Neustadt (Hessen)